Ein Fernsehabend mit den Merahs
Eine umstrittene Dokumentation zum 1. Jahrestag der Mordserie in Toulouse und Montauban
Welcher französische Normalbürger kennt den Namen Sandler *? Kaum jemand. Aber den Namen Merah kennt jeder, nicht nur Mohamed, den « Killer auf dem Motorrad », wie die Medien titelten (nach der « Barbaren-Gang » ein weiterer phantasievoller Name für einen antisemitischen Mörder), sondern auch seine Schwester Souad, die ihren Stolz auf des Bruders Bluttaten nie verheimlichte.
Daß das auch so bleibt dafür wird wohl eine grosse Dokumentation sorgen, die der TV-Sender FRANCE3 am 6. März ausstrahlen wird.
Denn es ist fast ein Jahr vergangen nach den Bluttaten des Mohamed Merah. Ein Anlaß für eine große Dokumentation auf dem viel gesehenen Sender FRANCE3 : Es sollen Interviews mit Claude Guénant, damals Innenminister, heute Rechtsanwalt einer der Opferfamilien sowie mit dem « Anti-Terroristen-Richter » Marc Trévidic gezeigt werden. Der Fernsehabend wird aus zwei Teilen bestehen, im ersten Teil soll der « Lebensweg » von Mohamed Merah dokumentiert werden, im zweiten die Gründe des Scheiterns der französischen Geheimdienste (« Mohamed Merah, l'incroyable échec des services secrets ») untersucht werden. Nach der Sendung ist ein Interview mit dem jetzigen Innenminister Manuel Valls geplant, Polizisten und Aufklärungsspezialisten aus dem In-und Ausland sollen zu Wort kommen. (1)
Eine gute Sache, könnte man denken, das Fernsehen stellt sich seiner Aufgabe der Aufklärung und der Dokumentation. Die Rechtsanwälte von Samuel Sandler, Vater des getöteten Jonathan, Ariel Goldmann, Patrick Klugman und Élie Corchia, sehen das ganz anders, sie verlangten in einem Offenen Brief an den Sender die Absetzung der Sendung. (2)
Im ersten Teil des Abends, der Dokumentation über den Werdegang von Mohamed Merah, sind nämlich Interviews vorgesehen mit Merahs Schwester Souad und seiner Mutter. Man solle die Sendung absetzen, nicht nur für die Opfer und deren Familien, sondern auch für den Sender FRANCE3 selbst, schreiben die Rechtsanwälte. Ihr Klient könne sich « gar nicht vorstellen, daß es sich nicht um ein Gedenken handele, sondern daß man denjenigen, die mit dem Kriminellen intim waren eine Tribüne gibt. »(2)
Guy Birenbaum schreibt dazu in der huffingtonpost : « Ist es legitim einem Sender üble Absichten zu unterstellen, indem man sich im voraus gegen die Ausstrahlung einer Sendung stellt ? Daß man versucht, zu erreichen, daß sie aus dem Programm entfernt wird ? Ohne sie gesehen zu haben ? Ohne zu wissen, was darin gesagt wird ? Durch wen ? Wie ? Ja. Ich bin davon überzeugt. Niemand ist gezwungen, sich diesen Dokumentarfilm anzusehen, verteidigen manche. Aber das ist eine dramatische Umkehrung. Es ist genau das Gegenteil. Niemand ist gezwungen (es) zu zeigen ! Der Skandal des Fernsehens ist, daß deren « Hersteller » es geschafft haben (uns) die Idee/Ideologie aufzuzwingen, daß man alles zeigen kann, alles zeigen muß. Das Gegenteil ist der Fall ... » (2)
Die Anwälte beenden den Offenen Brief an den Fernsehsender mit den Worten : « Trotz des Respektes, den wir für die editoriale Freiheit von FRANCE3 haben, ist es eine Form von Unanständigkeit und Obzenität, daß man zwei Mohamed Merah sowohl familiär wie ideologisch am nächsten stehende Personen in den Vordergrund rückt, um das erste Jahr nach dem von ihm begangenen Attentaten zu markieren". (2)
« Dieser Abend ist nicht dem Gedenken an die Opfer gewidmet sondern dem Werdegang eines Mörders », schreibt der Verein MPCT mouvement pour la paix et contre le terrorisme. « Und der Mutter und der Schwester Merahs wird das Wort erteilt : Empathie wird garantiert ! » (3)
Den ältesten Bruder Mohamed Mehras, Abdelghani, wird FRANCE3 nicht befragen. Im November 2012, in einem Park von Toulouse, hatte Abdelghani seine Schwester heimlich gefilmt, um auf diese Weise nachzuweisen, daß in dieser Familie Antisemitismus gepflegt und Terrorismus glorifiziert wird. Aber dieses missratene Familienmitglied ist dem Fernsehzuschauer wohl nicht zuzumuten.
Der Direktor von FRANCE3 hat entschieden : die Sendung bleibt !
Im November 2012, als sich die Schwester Mohamed Merahs, Souad Merah, so freimütig äusserte im Gespräch mit ihrem ältesten Bruder Abdelghani, sagte sie zum Beispiel : « Ich haße die Juden, die dabei sind, die Muslims zu massakrieren. ». (4) Was geschieht nun, wenn sie diese Äusserung am 6.März im Sender FRANCE3 wiederholt ? Wird der Moderator dies routiniert überhören ? Oder versuchen, beruhigend einzuwirken ? Wird er vielleicht sagen, daß die französischen Juden nicht daran schuld seien, daß israelische Juden in Palästina Moslems massakrieren, wie es behauptet wird zum Beispiel von Enderlin, Jerusalem-Korrespondent von France2 ? Und daß Souad Merah doch daher bitte vom Haß auf französische Juden Abstand nehmen solle ?
Die französische Justiz wertete die Äusserungen Souad Merahs gegenüber ihrem Bruder Abdelghani, gefilmt von Abdelghani und im Fernsehen gezeigt vom Sender M6, als strafrechtlich nicht zu verfolgen, weil privater Natur. (4) Wird das Interview des FRANCE3-Reporters mit ihr auch « privater Natur » sein, wird sie ihren Persilschein von einem Sender zum anderen, von einem Interview zum nächsten, mitnehmen und vorlegen können ?
Ariel Goldmann, einer von Sandlers Rechtsanwälten, gab uns ein Kurzinterview.
HaOlam : « Die Dokumentation besteht aus zwei Teilen. Der zweite Teil mit dem Titel « Mohamed Merah, das unglaubliche Versagen der Geheimdienste » scheint mir nicht verwerflich zu sein, selbst wenn der erste Teil verwerflich bleibt. »
Goldmann : « Um ehrlich zu sein, was mich am meisten schockiert und aufgerüttelt hat, das war die Werbung, die FRANCE3 machte, um auf die Sendung hinzuweisen. In diesem Aufhänger wurde auf die Teilnahme und die Aussagen der Mutter und eine der Schwestern von Mohamed MERAH Bezug genommen und wir betrachten dies nicht als gutes Mittel, an den Jahrestag dieser Tragödie zu erinnern . »
HaOlam : « Ihre Argumente gegen die Ausstrahlung der Gespräch mit der Schwester und der Mutter von Mohamed Merah durch FRANCE3 sind moralischer Natur. Haben Sie keine politschen Einwände gegen diese Ausstrahlung ?
Goldmann : « Sicher kann es politische, sogar juristische Einwände geben, aber als Ratgeber der Nebenkläger, der Eltern der mit ihrem Leben getroffenen Opfer, wollten wir an die Ethik und an das Berufsethos der öffentlich-rechtlichen Sender erinnern. »
HaOlam : « Der Rechtsanwalt von Saoud Merah, nach der Ausstrahlung ihres Gespräches mit ihrem Bruder Abdelghani durch den Fernsehsender M6, hat sie erfolgreich verteidigen können mit dem Argument, es hätte sich um ein privates Gespräch gehandelt. Kann die Justiz sie wegen Antisemitismus, Apologie des Terrorismus usw angreifen, wenn sie derartige Äusserungen in der FRANCE3-Sendung von sich gibt ? »
Goldmann : « Auf diese Frage werde ich nur antworten können, wenn ich die Sendung gesehen habe, was zur Zeit nicht der Fall ist. »
Sandlers Anwälte haben die CSA, die französische Kontrollbehörde über das Fernsehen, aufgesucht und ihre Bedenken gegen die Sendung begründet, die nicht nur in den Interviews mit den beiden Merahs sondern auch in Photos aus der Videoüberwachung begründet sind, die die Würde der Opfer verletzen würden. (5) Es ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der CSA, daßsie sich vor der Ausstrahlung mit einer Sendung befasst, es geschieht sonst immer im Nachhinein. Die Verantwortlichen der CSA haben eine ernste Warnung ausgesprochen gegen FRANCE3 : in diplomatischen Wendungen ausgedrückt sagen sie, wenn die Dokumentation in Teilen das Gedächtnis der Opfer verletze, würde die CSA den Sender sanktionieren.
FRANCE3 hat ein wenig nachgegeben : Im Anschluss an die Sendung soll nun den Opferfamilien das Wort erteilt werden, aber nicht als Diskussion, sondern als Folge mehrerer aufgezeichneter Gespräche. (5)
Über Auszüge aus den Interviews mit den Merahs wurden Medien schon vor dem Termin der Ausstrahlung, dem 6. März 2013, informiert. Und was uns FRANCE3 da zumutet hört sich dann so an : « Ich habe nichts verstanden », so die Mutter Mohamed Merahs, Zoulikha Aziri, weinend. « Er war ein hübsches Kind, er war lieb. Plötzlich hat er sich verändert. Er ist tot und hat viele Leute mit sich gerissen. » (6) An erster Stelle der Reihe der Toten stellt Zoulikha Aziri ihren Sohn Mohamed, den Serienkiller, die anderen « Leute » werden später genannt und sie wären « mitgerissen » worden, wie sie formuliert. Er hätte nie vom Jihad gesprochen. (6) Aber auch ohne vom Heiligen Krieg zu sprechen sei, wie der älteste Bruder Mohameds, Abdelghani, behauptet, in der Familie Antisemitismus gepflegt worden, aber, wie bereits erwähnt, Abdelghani kommt in der FRANCE3-Dokumentation nicht zu Wort. Und dann kommen einfachste Erklärungen : « Mit 400 Euros Sozialhilfe verliert sie schnell die Autorität über sie (ihre fünf Kinder), Mohamed kommt in ein Heim. » (6) Und, so Zoulikha Aziri : « Ich glaube, es ist mein Fehler, daßer so geworden ist. Weil ich mich von seinem Vater scheiden liess. Ich bedauere es sehr. » (6) FRANCE3 wird hoffentlich dem neugierigem Fernsehzuschauer erklären können, durch welches Wunder aus den vielen französischen Immigrantenfamilien, die von Sozialhilfe leben und bei denen sich die Mutter vom Vater scheiden liess, doch so wenig Terroristen hervorgehen ...
Welches politische Signal gibt der Sender durch die Ausstrahlung der Gespräche mit der Schwester und der Mutter des Mohamed Merah ? Die Person Mohamed Merah ist ohne Interesse, Mohamed Merah war eine mit Haß, Drill und Fanatismus gefüllte Tötungsmaschine, in seinem Werdegang sind keine Antworten zu finden auf die Frage, warum er ein islamistischer Terrorist und Serienmörder wurde. Soziale Brüche in einem Leben erklären nicht die Hinwendung eines Menschen zum Terrorismus, viele der am 11.September 2001 Beteiligten waren gesellschaftlich erfolgreich und scheinbar völlig integriert. Bewunderer Mohamed Merahs dagegen können sich ermutigt fühlen dadurch, daß ein öffentlich-rechtlicher Sender ihm, seinem Werdegang, seiner Schwester Souad und seiner Mutter in einer Sendung zum 1. Jahrestag seiner Morde einen solchen Platz einräumt und soviel Aufmerksamkeit zukommen läßt.
Die Tatsache, daß FRANCE3 in dieser Dokumentation diesen beiden Merahs das Wort erteilt, ist nicht nur moralisch verwerflich, mit der Ethik nicht zu vereinbaren, die der Sender haben sollte, sondern sie ist politisch irreführend und gefährlich. Eventuelle wertvolle Beiträge anderer Teilnehmer an dieser Sendung werden diesen schwerwiegenden Fehltritt nicht wettmachen können.
* Jonathan Sandler, Rabbiner, 30 Jahre, und seine Kinder Arieh, 5, und Gabriel, 4, zählten zu den jüdischen Opfern des Serienkillers Mohamed Merah, am 19. März 2012 in Toulouse.
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http://www.lexpress.fr/actualite/medias/france-3-decide-de-maintenir-le-documentaire- sur-mohamed-merah_1223148.html
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http://www.huffingtonpost.fr/2012/10/15/guy-birenbaum-_n_2075129.html
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http://tvmag.lefigaro.fr/programme-tv/article/information/74217/merah-france-3-sous- pression-du-csa.html
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http://lesmoutonsenrages.fr/2013/03/03/une-soiree-speciale-pour-comprendre-laffaire- merah/