Ein Trauerspiel namens UMP
Ein Trauerspiel namens UMP
Hätte es in der Deutschen Demokratischen Republik Überseegebiete gegeben, dann wäre auch dort der Kandidat der Nationalen Front mit 89,7 % der Stimmen gewählt worden.
Wussten die realsozialistischen Machthaber bis zu ihrem Erben Putin noch, dass bei Wahlbetrügen der Abstand zwischen Gewinner und Verlierer sehr gross sein muss und vor allem, dass es keine Instanz geben darf, die dies denunziert und untersucht, so ist es bei parteiinternen Wahlen mit mehreren Kandidaten in einem demokratischen Land viel komplizierter ... besonders wenn dieses Land Frankreich heisst.
DER VORWURF DES WAHLBETRUGES
In der grössten Oppositionspartei des Landes, der UMP, wurde ein neuer Chef gewählt. Angelehnt an die « Primaires » der Sozialisten, in denen mehrere Genossen und Genossinnen sich beworben haben um die Wahl als Kandidat zu den Präsidentschaftswahlen, hat auch die UMP den Konkurrenzkampf ihrer beiden Kandidaten, Copé und Fillon, medienwirksam inszeniert. Anders als in der Sozialistischen Partei konnte man aber keine inhaltliche Debatte zwischen beiden Kandidaten mitverfolgen, sondern nur die Interviews, die Journalisten mit den beiden Kandidaten führten, wenn sie von einer Parteiversammlung zurückkehrten bevor sie zur nächsten eilten.
Das Ergebnis, nach dem Copé mit ein paar Dutzend Stimmen knapp vor seinem Fillon das Rennen gewann wurde nun von Fillon angefechtet, zunächst nur in Redeschlachten, ein paar Tage später intern und eine juristische Anfechtung hat er in die Wege geleitet noch bevor alle internen Instanzen die Überprüfung abgeschlossen haben. Nach Fillon wurden bei der Auszählung der Stimmen drei Überseegebiete nicht berücksichtigt. Diese hätte den Ausschlag für ihn gegeben. Copé verweist zunächst prinzipienfest auf die Statuten der Partei, nach der bei Wahlanfechtungen eine interne Kommission das Ergebnis überprüft, vergisst zwei Sätze später aber die eigenen Prinzipien und kontert mit der Karte « Nizza » : in dieser Fillon-Hochburg hätte es Unregelmässigkeiten gegeben, die zugunsten seines Konkurrenten ausfielen, daher sollte Fillon lieber schweigen.
DIE IDEE EINES INTERIM-PRÄSIDENTEN UND EINER MEDITATION
Als Interim-Präsident wurde Alain Juppé vorgeschlagen. Ein Musterbeispiel von Integrität ist Juppé nicht gerade, aber das scheint im politischen Leben Frankreichs im allgemeinen und in der UMP im besonderen eher ein Pluspunkt zu sein. Angeklagt wegen des Betruges durch fiktive Stellen der Stadt Paris bestätigt das Appelationsgericht im Dezember 2004 das gegen ihn gefällte Urteil : vierzehn Monate Gefängnisstrafe auf Bewährung und : ein Jahr lang darf er sich nicht zu Wahlen stellen. Die Wartezeit bis er wieder zu öffentlichen Ämtern kandidieren durfte verbrachte Juppé sinnvoll in dem er im Jahr 2005 an der ecole nationale d'administration publique in Montreal unterrichtete, und im Mai 2006 sprach er auf Konferenzen in Mexiko zum Thema Frankreich und Globalisierung. Ende des Jahres 2006 ist wieder voll da, im Oktober 2006 wird er wieder zum Bürgermeister von Bordeaux gewählt, im Mai 2007 und wieder im November 2010 wird er Minister unter Premierminister Fillon.
Interim-Präsident der UMP wurde Juppé nicht, aber er verbrachte am letzten Sonntag mehrere Stunden mit dem Versuch einer Meditation, die scheiterte.
IMAGEVERLUST BEIDER KONTRAHENTEN
In den TV-Medien nehmen Meinungsforschungsinstitute einen immer grösseren Platz ein, gleich hinter den Parteien noch vor den Gewerkschaften, sie beschränken sich längst nicht mehr darauf, Meinungen zu erforschen, sondern Meinungen abzugeben, immer häufiger befragt von den Fernsehsendern, als hätten sie ein Mandat von irgend jemandem anderen als von sich selbst. Diese omnipräsenten Institute präsentierten Fillon über Monate als Favoriten der Wahl zum Parteichef, weit vor Copé. Nun wurden die Mitglieder und Sympathisanten der UMP befragt. Kaum überraschend, dass sie von dem Imageverlust, den die Partei erlitt, bestürzt sind. Überraschender ist, dass der persönliche Imageverlust grösser ist bei Copé als bei Fillon, obwohl Copé mittlerweile zum dritten Mal sein Wahlsieg bestätigt wurde.
FILLONS TAKTIKEN
Der Grund dafür kann sein, dass Fillons Vorgehen cleverer war als das Copés, prinzipienloser, moralisch und politisch bedenklich aber wirksam, nach folgenden Regeln: Die schmutzige Wäsche wird heute nicht mehr wie früher « in der Familie gewaschen », sondern öffentlich, im Fernsehen und den sozialen Netzwerken. Umso mehr die Politik der Tele-Realität ähnelt, umso mehr kann sie dem Volk gefallen. Hauptsache ist, es wird viel von dir geredet, auch wenn es nicht immer positiv ist. Bringe deine Anklagen umso lauter hervor, umso weniger Beweise du dafür lieferst. Drohe mit der Justiz, aber lass deinem Gegner genug Zeit, dich davon abzubringen - Selbstjustiz zu verüben geniesst in Frankreich ein grösseres Ansehen als sich den langwierigeren Verfahren der Justiz und der eigenen Instanzen anzuvertrauen. Schick ist es auch, nicht nur sehr selbst in Erscheinung zu treten, sondern stattdessen seine Sprecher, Berater und Rechtsanwälte an die Medienfront zu schicken.
ERNEUTE BESTÄTIGUNG DES SIEGES VON COPE
Die interne Kommission der UMP hat nun Copé als Sieger bestätigt, mit einem viel höheren Abstand als bei der ersten Bekanntgabe des Ergebnisses. Fillon beharrt auf seiner Anfechtung und will sie auf juristischen Weg durchspielen. Niemand stellt die Frage, warum Copé plötzlich so viel mehr Stimmen hat als Fillon - sind die hochqualifizierten Mitglieder der Untersuchungskommission, in der beide Clans vertreten sind, so verwirrt, dass sie nicht mehr richtig zählen können oder ist es ein Hinweis darauf, dass es vielleicht (auch?) auf der Fillon-Seite Wahlbetrug gab ?
MITTELMISSBRAUCH DUCH COPE?
Zu den jüngst erhobenen Vorwürfen Fillons gegen Copé gehört, dass Copé die Mittel der Partei für seine Wahlkampagne benutzt haben soll. Falls dies so ist, stellt sich die Frage, warum Fillon, der seine Kampagne im Namen der politischen Ehrlichkeit führt, es bei all seinem Einfluss nicht geschafft hat innerhalb der viermonatigen Kampagne diesen Missbrauch rechtzeitig vor den parteiinternen Wahlen zu beenden. Es ist anzunehmen, dass er - sicher, dass er das Rennen machen wird - diese Unsitten nicht abschaffen wollte, sondern auch als Parteichef die Kampagne der Partei und die für seine Person vermengen würde.
WO IST SARKOZY?
Der frühere Staatspräsident Nicolas Sarkozy scheint es seit seiner Wahlniederlage als Präsidentschaftskandidat so gut zu gehen wie nie zuvor. Seit dem er nicht mehr ständig mit Angela Merkel Europa retten muss wirkt er so entspannt, dass sein Look zeitweise mehr dem Sänger Serge Gainsbourg ähnelt als ihm selbst.
In der Innenpolitik hält er sich seit seiner Wahlniederlage sehr bedeckt, ausserdem beschäftigt sich die französische Justiz mit ihm: Er wird über den Verdacht auf illegale Finanzierung seiner Kampagne im Jahr 2007 durch die Milliardärin Bellencourt befragt. Aus Fernsehkrimis kennen wir den kernigen Satz « solange Sie verdächtigt sind dürfen Sie diese Stadt nicht verlassen », aber in der realen Welt, gegenüber dem früheren Präsidenten, scheint dieser Satz nicht gefallen zu sein und so kann Sarkozy sich im Flieger nicht nur auf seine bestbezahlten Reden auf Konferenzen rund um den Globus vorbereiten, sondern auch darauf, was er dem Richter in der Bettencourt-Affäre als nächstes erzählen will.
Doch zurück zum Trauerspiel UMP : Nachdem er seinen früheren Premierminister Fillon einige Tage gewähren liess hat er in präsidentialem Gehabe über den Dingen stehend, oder fliegend, dem einen und dem anderen der beiden Kontrahenten Ratschläge erteilt, dem einen telefonisch, dem anderen beim Essen. Von einer juristischen Anfechtung des Ergebnis und der Aufstellung einer eigenen parlamentarischen Gruppe der Fillonisten, wie sie jetzt heissen, rät er ab, die Einheit der Partei müsse gewahrt bleiben, aber die Idee einer Neuwahl findet er gut.
EIN KLEINER IRONISCHER EXKURS – WIE WÄRE ES MIT HILFE AUS BERLIN ?
Besser als eine Neuwahl oder ihrem Vorspiel, dem parteiinternen Referendum, ob die Mitglieder noch einmal wählen wollen, wäre vielleicht doch ein Interim-Präsident. Warum nicht mit Hilfe aus Berlin? Während der Kampagne zur Präsidentschaftswahl hatte Angela Merkel einer Wahlveranstaltung von Nicolas Sarkozy beigewohnt. Dies war wohl eine der schlechtesten Ideen seines Beraters damals, diese Geste war mehr ein Nagel zum Kandidaten-Sarg als ein hilfreicher Akt. Aber vielleicht kann Angela Merkel jetzt für die Schwesterpartei in Nöten einspringen, einen Polit-Manager aus ihren Reihen der UMP zur Verfügung stellen? Französisch müsste er können, Erfahrung sollte er haben im Krisenmanagement und integer müsste er sein. Dies würde der UMP aus der Patsche helfen und Angela Merkel würde lernen, dass die Franzosen, diese potentiellen Griechen, nicht nur mit Staatsfinanzen sondern auch mit anderen den Deutschen wichtigen Prinzipien des politischen Umgangs und der Organisation einer Partei einen lockereren Umgang pflegen als die Deutschen.
Angela Merkel würde so die Franzosen noch etwas besser verstehen lernen, ihr nächsten Treffen mit Hollandes deutschsprachigem Premierminister Jean-Marc Ayrault wären bestimmt viel ergiebiger, allen wäre geholfen …
Aber diese Seite im Buch der deutsch-französischen Freundschaft wurde nicht geschrieben.
WELCHES KALKÜL HAT FILLON?
Fillon ist sich sicher bewusst, dass sein ultimatisches Verhalten sich zerstörerisch ausübt auf die Partei, dass der Mitgliederschwund weitergehen wird, bis er – vielleicht – in Neuwahlen im Februar 2013 das Steuer an sich reissen kann und die Mitglieder bis dahin einen langen Erfahrungsprozess durchlaufen werden, in denen sie sich entmutigt und von ihrer Führung hintergangen fühlen – kaum gute Voraussetzungen, in den Kommunalwahlen 2014 erfolgreich zu sein. Aber möglicherweise hat Fillon mehr die Präsidentschaftswahl 2017 in Auge, glaubt, bis dahin eine starke Partei wieder aufstellen zu können, die für ihre Kandidaten kämpft, und konzentriert sich darauf, den Konkurrenten Copé zu disqualifizieren und auszuschalten, Copé, der gezeigt hat, dass er in der kurzen Zeit von drei, vier Monaten die Kräfteverhältnisse in der Partei zu seinen Gunsten umkehren und mindestens die Hälfte der Parteimitglieder für sich gewinnen konnte. Die als reine Manövriermasse verstandene Parteibasis zählt in diesem möglichen Kalkül wenig gegenüber der Gruppe der Parlamentarier und dem verbitterten Kampf gegen den Rivalen.
DIE POLITISCHEN DIFFERENZEN ZWISCHEN COPE UND FILLON
Die Kampagne der beiden Kontrahenten Copé und Fillon konzentrierte sich auf die Persönlichkeiten, nicht auf politische Differenzen. Dennoch gibt es sie. Fillon ist für einen weicheren konservativen Stil bekannt, der die Partnerschaft mit rechtszentristischen Positionen sucht, Copé für eine härtere Linie besonders in Themenbereichen, auf die sich die Front National spezialisiert hat, wie der Islamisierung. Weder die Sozialisten noch Fillon reden gerne zum Beispiel über die zur Gewohnheit gewordene Besetzung von Strassen in moslemisch dominierten Vorstädten von Paris durch gläubige Moslems während des Freitaggebets; um nicht in den Verdacht zu geraten, islamophobe Vorurteile zu verbreiten, wird dieses Problem tabuisiert und verniedlicht, besonders von den Sozialisten, im geringeren Mass auch von den Fillonisten. Ist es für eine konservative Strömung das richtige Vorgehen, diese Themen der Front National zu überlassen, oder sollte sie die Themen aufgreifen und andere Antworten geben als die FN es tut? Dies war eine der zentralen Fragegestellungen von Copé während seiner Kampagne um die Führung der Partei, wobei man natürlich darüber streiten kann, ob es grosse Unterschiede gibt zwischen den Antworten von Copé und Le Pen auf diese Fragen.
Aus entgegengesetzten Gründen haben wohl sowohl die Sozialisten wie auch die Front National ein Interesse daran, dass der Parteichef der UMP Fillon heisst und nicht Copé.
EINE NEUE PARLAMENTARISCHE GRUPPE : RUMP
Fillon hat nun eine eigene parlamentarische Gruppe gegründet, die 68 Abgeordnete umfasst, mit dem Namen RUMP (nein, nicht Rumpf, sondern Rassemblement UMP: RUMP) und die bis zu den neuen Wahlen des Chefs der UMP bestehen soll. Dies ist ein empfindlicher finanzieller Schlag für die UMP, da jeder Parlamentsabgeordnete der Partei 42.000 € pro Jahr einbingt. Ginge es nach Fillon sollte ein Team bis zur Neuwahl die UMP dirigieren, Coppé dagegen hält an seinem Sitz fest, das Trauerspiel ist noch nicht beendet. Nach letzten Meldungen will Copé von Neuwahlen oder von einem parteiinternen Referendum für Neuwahlen nichts mehr hören, solange die RUMP-Parlamentariergruppe bestehen bleibt.
EINE ATEMPAUSE FÜR DIE SOZIALISTEN
Wer profitiert von diesem Trauerspiel, das die französischen Medien « Feuilleton » nennen ? Man könnte es auch Schmierentheater nennen. Für kurze Zeit natürlich die Sozialistische Partei, da ihr unangenehme Dossiers wie das Flughafenprojekt zwischen Nantes und Rennes Notre Dame de Landes in den Medien nicht so ausführlich behandelt werden, wie es ihnen zusteht, oder das der Ehe und Kinderadoption von Homosexuellen, das im Januar 2013 entschieden werden soll. Zu dieser Frage gibt es nur ganz wenig Debatten in den Medien, dank der Selbstlähmung der UMP, trotz massiver Proteste gegen dieses Projekt seitens der Konservativen, der katholischen Kirche bis hin zur Sozialistischen Partei selbst, in Gestalt einer Bewegung mit dem Namen Poissons Roses. Der Streit um die Führung der UMP verschuf den Sozialisten eine kurze Atempause, aber der eigentliche, längerfristige, Gewinner ist die Front National.
ABWANDERUNGEN VON UMP-MITGLIEDERN
Seit dem Beginn der Krise gibt es massive Abwanderungen von Mitgliedern zur neuen rechtszentristischen UDI, aber vor allem zur rechtsextremen Front National. Die FN spricht von einer Vervierfachung der täglichen Beitritte, am letzten Donnerstag (22.11.12) hätte man die Zahl von 600 neuen Mitgliedern pro Tag erreicht. (1)
(1) http://www.lemonde.fr/politique/article/2012/11/29/pour-une-majorite-de-francais-la-crise-de-l-ump-profite-au-fn_1797314_823448.html
30.11.12 © Reiner Schleicher // http://reinerschleicher.over-blog.com